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1. Schongauer Poetry-Slam

Am Donnerstag, 9. Juni 2005 fand im Schongauer Musiklokal "Löwenhof" der 1. Schongauer "Poetry-Slam" statt.

BILDER VOM 1. SCHONGAUER POETRY-SLAM

Hier der Presseartikel aus den Schongauer Nachrichten vom 13.06.2005:

"Treffen staatsfeindlicher Revoluzzer"

Rainer Heiss siegt knapp vor Manuel Herz beim ersten Schongauer Poetry-Slam

VON EVA WERNER Schongau - Zwei Beiträge lagen in der Publikumsgunst beim ersten Schongauer Poetry-Slam im Löwenhof ganz vorne: Der "moderne Minnesang" von Manuel Herz und die kontemplativen Betrachtungen über die Nachteile von Lesern im Leben von Rainer Heiss. Von den etwa 130 Besuchern, die bis zu sechs Punkte pro Teilnehmer vergeben konnten, erhielten beide mehr als 400 Punkte. Mit nur zwei Stimmen Vorsprung siegte dann Rainer Heiss aus Schongau vor Manuel Herz aus Bad Bayersoien und erhielt den Publikumspreis Winnie Pur. Auf den dritten Platz kam Rainer Hofmann mit seinen mystischen Texten von Höllenfeuer und Drachen. Den vierten Platz teilten sich Simon Nördlinger, eine Gruppe mit dem Namen "Die Anfänger" und Gudrun Kropp.

Der Kulturförderverein "lechwärts", Veranstalter des ersten Poetry-Slam, will das Ereignis jetzt jedes Jahr wiederholen. Vorstandsmitglied Werner Friebel: "Ich bin überwältigt, wie gut unsere Aktion angekommen ist.

Besonders die Auftritte der beiden Sieger rissen das Publikum mit. Manuel Herz zeigte sich trotz Erkältung gut gelaunt und locker. "Normal singe ich halt eine Oktave höher", erklärte er einfach zu Beginn seines Auftritts, erwähnte ganz nebenbei seine angeblichen Aufenthalte vor riesigem Publikum und einen bei den Mormonen in Salt Lake City, der ihm nicht so gut bekommen sei. Dann legte der Abiturient los mit Gitarre und dem schrägen Gesang seiner überzeichneten Klagetexte wie: "Ich kann keine Buchstabensuppe mehr essen, ohne Deinen Namen zu schreiben". Seine Eigenkompositionen mit viel Witz und Selbstironie wurden mit großem Jubel bedacht.

Der Auftritt von Rainer Heiss war distanzierter. Nach harten Klängen der Band "Blut und Eisen" ein kurzer Hinweis des Deutschlehrers auf seine Unfähigkeit, unterhaltsam zu schreiben und ordentlich vorzulesen. "Ich habe mich hier unter Vorspiegelung falscher Tatsachen eingeschlichen, weil es Essen und Getränke gratis gibt." Es folgte seine Botschaft, die er wie ein Prediger verkündete: "Lesen ist schrecklich. Man muss ehrlicher Weise ergänzen: Lesen ist etwas für Schrullige. Lesen ist langweilig". Es folgte eine lange Litanei schlechter Eigenschaften von Lesern, wie "Leser sind verschrobene Einzelgänger. Leser sind sportliche und körperliche Versager. Leser sind ungesellig. Leser sind regelechte Geselligkeits-Verweiger."

Auch Bücher mussten sich der Kritik von Rainer Heiss unterziehen: "Bücher sind kein zeitgeist-konformes Freizeit-Equipment, Bücher sind unspektakulär. Bücher sehen abartig unsexy aus." Leser, so Heiss in seiner ironischen Darbietung, wüssten nur unwichtige Dinge wie die Namen der deutschen Bundesländer, die der Minister und Ministerinnen Bayerns und dass Legislaturperioden des Bundestags gewöhnlich vier Jahre dauern. Sie wüssten dagegen nicht, wie belebend eine Gehirnwäsche sei, die vom Druck der eigenen Entscheidung befreie. So gesehen, folgerte Heiss, "ist ein Poetry-Slam eigentlich ein lediglich als Kulturveranstaltung getarntes Treffen subversiver, staatsfeindlicher Revoluzzer".


Hier also der Slam-Text des Winners:

 


"Leser"

von Rainer Heiß



Aus Hoffnung auf Strafverschonung und aus Respekt vor dem hoch verehrten Publikum vorab ein Geständnis:

Ich habe mich hier nur unter Vorspiegelung falscher Tatsachen eingeschlichen, weil es dann Essen und Getränke gratis gibt.

Ich kann nämlich weder unterhaltsam schreiben noch ordentlich vorlesen.


Deshalb schnell zur Hauptsache!


Arno Schmidt hat einmal gesagt:


Nennen Sie mir einen anständigen Schriftsteller, der gern geschrieben hätte:

Lieber zeitlebens Scheiße schippen!


Und:


Lesen ist schrecklich.











Man muss ehrlicher Weise ergänzen:


Lesen ist etwas für Schrullige.

Lesen ist langweilig.

Lesen ist alles andere als trendy.

Lesen hat in etwa die sexuelle Anziehungskraft einer Schnapp-Falle für Grizzly-Bären.

Leser sind verschrobene Einzelgänger.

Leser sind sportliche und überhaupt körperliche Versager.

Leser sind ungesellig.

Leser sind regelrechte Geselligkeits-Verweigerer.

Leser sind asozial.



Bücher sind kein Zeitgeist-konformes Freizeit-Equipment.

Bücher sind unspektakulär.

Bücher sehen abartig unsexy aus.

Schrecklich unglamourös.

Bücher bieten auch keinerlei Möglichkeit zur modischen Entwicklung.

Es gibt keine coolen Tauschbörsen für Lesezeichen.

Wenn es sie gäbe, dann würde davon nicht live auf MTV oder RTL-Exklusiv berichtet werden.

Es gibt keine abgefahrenen Gangster-Ghettos, in denen ultrafett-stylishe Buchrücken-Trends entstehen.

Es gibt daher auch nicht die Möglichkeit, dass solche Trends beispielsweise vom Rowohlt-Verlag aufgegriffen und von Coca-Cola oder MC Donald´s gesponsert werden.

Es werden sich folglich solche Trends auch nicht in einer hippen Underground-Jugendkultur der Bücherfreunde über die ganze Welt verbreiten.









Lesen ist eine unerwünschte Freizeitbeschäftigung.

Bücher werden nicht von E.on präsentiert.

Bücher haben keine Werbepartner, haben keine Werbepausen.

Leser haben nicht ständig den Drang, etwas tun zu müssen ohne zu wissen was.

Leser haben nicht dauernd das Gefühl, ihnen fehle etwas.

Die Gemeinschaft der Lesenden verweigert sich sämtlichen Modeneuheiten.

Leser leben nicht mit der Illusion, sie bräuchten neue Handy-Klingeltöne aus dem Internet.

Leser kennen den Kick einer schicken Schamrasur nicht.

Leser sind so out of time, dass sie sich nicht ständig neu einkleiden.

Es soll Leser geben, die wissen nicht, welche Turnschuhe man gerade trägt

und welche man absolut nicht tragen darf.

Sie wissen noch nicht einmal, dass Turnschuhe heute Sneakers heißen.



Leser sind folglich schlechte Konsumenten.

Sie versagen in der ihnen zugedachten Rolle als gehorsame Käuferschicht.

Lesen ist also eine arbeitsplatzfeindliche Freizeitbeschäftigung.

Lesen schädigt die deutsche Volkswirtschaft.


Leser haben obendrein durch ihr absurdes Hobby die lästige Angewohnheit, bei Gesprächen teilweise über zehn Minuten bei nur einem Thema zu bleiben.

Und: Sie kokettieren mit ihrer perversen Konzentrationsfähigkeit.


Das alles ist natürlich ebenso fatal wie unverzeihlich.

Leser werden deshalb zurecht gemieden, werden links liegen gelassen, angerempelt, getreten und bespuckt.

Soziale Ausgrenzung ist nur die gerechte Strafe für ihre selbst verschuldete Außenseiter-Existenz.

Sie wollen es ja nicht anders.

Leser sind nicht von dieser Welt.

Leser sind scheiße!


Ohne es zu wissen stimmt Kurt Tucholsky dem zu, wenn er sagt:


Man kann den Hintern schminken, wie man will,

es wird kein ordentliches Gesicht daraus.


Doch weiter:


Leser wissen nicht, wie der Hund von Bart Simpson heißt.

Leser kennen die Ehefrau von Al Bundy nicht.

Es soll Leser geben, die kennen die Hauptdarstellerinnen von Sex and the City nicht,

wissen nicht, wer dort wann, wie, warum und mit wem den Geschlechtsakt vollzogen hat.

Leser wissen nicht, dass Renate aus dem Marienhof nicht mehr lange zu leben hat.

Es soll Leser geben, die nicht wissen, von wem Heidi Klum momentan schwanger ist.

Leser kennen den aktuellen Haarschnitt von David Beckham nicht.

Leser wissen nicht, was mit Schumis Reifen dieses Jahr nicht stimmt.

Mancher weiß nicht, dass Verona nicht mehr Feldbusch heißt oder mit wem Dieter Bohlen derzeit die Matratze teilt.


All diese Gesprächsthemen bleiben ihnen wegen ihrer Bücher-Besessenheit verschlossen.

Sie können daher bei nichts wirklich Wichtigem mitreden.



Leser wissen stattdessen ausschließlich Unwesentliches:


Leser kennen einen dritten deutschen Schriftsteller,

hoffnungslose Fälle einen vierten oder sogar fünften.

Leser wissen, warum Deutschland einmal das Land der Dichter und Denker genannt wurde.


Sie dürfen deshalb nicht bei der allgemeinen Volksverdummung dabei sein.



Leser wissen, dass Ahab etwas mit einem Wal zu tun hatte, Bismarck aber nichts mit Heringen.

Leser kennen den Unterschied zwischen Kelten und Keltern.

Leser wissen, dass die DDR mehr war als ein Big-Brother-Container für onkelhafte Staatschefs mit Retro-Hüten.


Sie können daher nicht sanft und orientierungslos dahinschweben in bezugsloser Gleichgültigkeit.


Das hat schon Hugo Ball gewusst und deshalb gefordert:

Man sollte ganze Bibliotheken verbrennen und nur noch gelten lassen, was jeder auswendig weiß.



Aber es wird ja noch schlimmer:


Leser wissen, dass das Amt des US-Präsidenten ursprünglich nicht vererbt wurde.

Leser ahnen auch, dass zwischen einem Anschlag auf ein Hochhaus in Amerika und der Abschaffung bürgerlicher Grundrechte in Deutschland kein notwendiger Zusammenhang besteht.

Leser kennen unnützer Weise alle deutschen Bundesländer.

Leser kennen die Minister und Ministerinnen Bayerns.

Leser wissen, dass auch in den Bundesländern ein Mehrparteiensystem erlaubt wäre.

Leser wissen, dass Legislaturperioden im Bundestag für gewöhnlich vier Jahre dauern.

Leser wundern sich deshalb manchmal über die Politik.


Leser wissen nicht, wie belebend gerade hier eine gründliche Gehirnwäsche sein kann, wie sie andere aus einer regelmäßig hohen Dosis Werbe-, Serien- und Promi-News-Cocktails saugen.

Dabei befreit diese Gehirnwäsche von dem Zwang, ständig selbst nachdenken zu müssen,

sie erlöst vom Druck der eigenen Entscheidung.


Daher versagen Leser in ihrer Rolle als willenlose Untertanen.



So gesehen ist ein Poetry-Slam eigentlich ein lediglich als Kultur-Veranstaltung getarntes Treffen subversiver, staatsfeindlicher Revoluzzer.


Wenn das herauskommt, werden derartige Zusammenrottungen von Renitenten künftig mit Sicherheit verboten!


Jetzt aber zum harmonischen Ausklang doch noch kurz etwas Literarisches.

Ein Sonett von Bert Brecht:


Sonett Nr. 5. Kuh beim Fressen


Sie wiegt die breite Brust an holziger Krippe

Und frisst. Seht, sie zermalmt ein Hälmchen jetzt!

Es schaut noch eine Zeitlang spitz aus ihrer Lippe

Sie malmt es sorgsam, dass sie´s nicht zerfetzt.


Ihr Leib ist dick, ihr trauriges Auge bejahrt;

Gewöhnt des Bösen, zaudert sie beim Kauen

Seit Jahren mit emporgezognen Brauen –

Die wundert´s nicht, wenn ihr dazwischenfahrt!


Und während sie sich noch mit Heu versieht

Entzieht ihr einer Milch. Sie duldet stumm,

Dass seine Hand an ihrem Euter reißt:


Sie kennt die Hand. Sie schaut nicht einmal um.

Sie will nicht wissen, was mit ihr geschieht

Und nützt die Abendstimmung aus und scheißt.

Vielen Dank!


Gute Nacht!