Aus den "Schongauer Nachrichten", Juni 2006
2. Schongauer Poetry-Slam
Schongau. Mit guter Performance und einer starken
"Hausmacht" im Publikum hat sich der Marktoberdorfer
Rainer Heiß auch die Trophäe des " 2. Schongauer
Poetry-Slam" - veranstaltet vom Kultuförderverein
"Lechwärts" - holen können.
In einer galligen Satire nahm der Preisträger im Schongauer
"Löwenhof" die Hysterie rund um die Fußball-WM
aufs Korn und geizte nicht mit Spott über die
Geschmacksverirrungen der Fanartikel-Industrie.
Dazu hatte er sich einiger Accessoires wie eines aus kleinen
Fußbällen bestehenden Rosenkranzes bedient. Kurze
Playback-Einspielungen zum Thema und ein gebetsmühlenartig
wiederholtes "Franz, wir danken dir!" gaben der
Darbietung zusätzlich kabarettistische Würze.
Auch der nur knapp unterlegene 2. Preisträger, Michi
Marchner aus Denklingen, sparte nicht mit der Giftspritzte. Im
wahrsten Wortsinn, denn als er sich wegen einer
"Gaumenzäpfchen-Schwellung" auf die
"Tor-Tour" durch diverse Arztpraxen begibt, widerfahren
ihm skurrile Behandlungsmethoden, die allesamt keine Wirkung
zeigen, bis er sich das Zäpfchen schließlich
abzwickt.
Dass Marchner ein Bühnen-Vollprofi ist (bei den Münchner
"Les`Derhos`n), wurde durch die Art der Performance schnell
klar. Ohne Textblatt kam Marchner aus und wirkte mit
ausdrucksstarker Mimik und Gestik sehr spontan und locker.
Impressionen
Mit Impressionen vom "Kiez" vermittelte der Hamburger
Lyriker Björn Jensen hintergründige, menschliche
Eindrücke aus dem Milieu und überzeugte das Publikum mit
Wortwitz, Selbstironie und pointierten Schlußwendungen,
wofür er die dritthöchste Punktzahl erhielt.
Der Ex-Schongauer Simon Nördinger alias "Sigurd
Hastig" richtete einen prosaischen Rückblick auf die
Heimatstadt seiner Kindheit und Jugend, garniert mit authentischen
Erlebnissen und liebevollen Erinnerungen.
Persönliche Welt
In seine ganz persönliche poetische Welt entführte der
Peitinger Naren Illman das Publikum mit Gedichten, in denen er
unterschiedliche Stimmungen zwischen Melancholie, humorvoller
Weltbetrachtung und verhaltenem Optimismus feinsinnig
auslotete.
Alltagsgeschichten zum Schmunzeln hatte Rasso Lechner aus
Peißenberg mitgebracht, teils hinterfotzig-g'stanzlmassig,
andere wie grad vom Stammtisch weg erzählt - "aba oiwei
auf guad boarisch".
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Das Publikum konnte auf Stimmkarten die einzelnen Darbietungen
mit einem Punktesystem bewerten und so entscheiden, wer in diesem
Jahr den "Winnie 2006", eine Tonfigur des Hohenfurcher
Bildhauers Stefan Walter, mit nach Hause nehmen durfte. wf
Der "Winnie 2006"
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Michi Marchner
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Rainer Heiß
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Björn Jensen
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Hier also der Slam-Text des Winners:
Torjubel
Goleo, das halbnackte Maskottchen, das die Welt
mit einem freundlichen Hitlergruß nach Deutschland einladen
wollte, liegt im Sterben.
Ist
das ein schlechtes Zeichen?
Haben sich alle gegen uns
verschworen?
Doch zurück zum Ursprung:
Im alten Rom haben die Kaiser ihre Untertanen
ruhig gestellt, indem sie im Colosseum kostenlose Spiele
veranstalten ließen - Panem et
circenses
Dabei haben entweder Gladiatoren gegeneinander
gekämpft oder Christen gegen wilde Tiere.
Das
konnte man noch nicht unbedingt als Breitensport bezeichnen, aber
die Funktion innerhalb der Gesellschaft ist durchaus mit heutigen
Sportereignissen vergleichbar.
So
lange deutsche Väter in ihren ausgebeulten Jogginghosen Bier
saufend vor dem Fernseher sitzen und Fußball schauen, sind sie
weg von der Straße und kommen nicht auf dumme Gedanken: Frauen
und Kinder haben ihre Ruhe und die Politik kann derweil auch
treiben, was sie will. Draußen werden Steuern erhöht und
Löhne gesenkt, drinnen wird um passives Abseits
debattiert.
Es wird gestritten, ob es gut war, Odonkor
mitzunehmen und stattdessen Kevin allein zu Haus zu lassen. Das
heißt, ganz allein ist er ja nicht, er könnte zu
Sportskamerad Wörns ziehen, der hat so einen Tonfall in der
Stimme, als könnte ihm das gefallen.
Höhepunkt der Massenhysterie ist alle vier
Jahre die WM. Und dieses Mal sind wir die Gastgeber. Die Euphorie
ist riesengroß, oder, wie es der Bundesklinsi
ausdrückt:
Das sind Gefühle, wo man schwer
beschreiben kann.
Wie
wir zu Gastgebern wurden?
FIFA-Chef Sepp Blatter hat sich in dem für
ihn typischen völligen Realitätsverlust den Großen
unter den deutschen Sportfunktionären gestellt, hat aber
erwartungsgemäß gegen Gerhard Mayer-Vorfelder in der
Kategorie volltrunken zu unpassender Gelegenheit und gegen
Franz Beckenbauer in der Kategorie Sekretärinnen auf der
Weihnachtsfeier haushoch verloren.
Franz, wir danken
dir!
Die Folgen?
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Am größten war der Jubel unter
den Funktionären des DFB selbst, hat man doch als Ausrichter
einer WM automatisch Anrechte auf Schmiergelder in
Millionenhöhe erworben.
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Neben den alten, dicken Männern im
DFB, die größtenteils selbst nie Fußball gespielt
haben, jubelten auch die Sponsoren, denn sie sind die einzigen, die
ohne Schwierigkeiten Karten bekommen, außerdem ist die WM ein
prima Aufhänger, uns in wertlosem WM-Accessoires-Müll zu
ersticken.
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Wir werden nun trotz der bescheuertsten
Kampagne seit Menschengedenken für kurze Zeit alle Deutschland
sein.
Wir werden scharf angebratenes
Gammelfleisch fressen, und es wird uns egal sein. Die
Frühjahrsloch-füllende Vogelgrippe haben wir eh
längst vergessen, wir werden dieses Mal auch keine halbe
Milliarde Euro an Katastrophenopfer in Südostasien spenden.
Massensterben an Weihnachten, das rührt uns, Erdbeben kurz vor
der WM – das ist einfach blödes Timing. Wir sind zurzeit
am falschen Ende unserer Emotionsskala und daher unempfänglich
für die Sorgen der Dritten Welt.
Außerdem forsten wir ja bereits dank
Krombacher von unseren Wohnzimmersofas aus den Regenwald wieder
auf. Das muss genügen!
Beim Bittstellen um Eintrittskarten haben
wir obendrein den Bundesnachrichtendienst fleißig mit unseren
privaten Daten gefüttert, sodass die sympathische West-Stasi
aus Pullach keine journalistische Hilfe mehr benötigt, um uns
alle auszuspionieren.
Franz, wir danken
dir!
Wir
haben jetzt in Deutschland die besten Fußballtempel der Welt,
nur leider sind sie während der WM für den
Otto-Normal-Fan zu No-go-Areas erklärt
worden.
Die
WM findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit
statt.
Wir
dürfen uns die Spiele mit ein bisschen Glück und einem
aktuellen Unbedenklichkeitszeugnis des Innenministeriums auf
Großbildleinwänden anschauen.
Was haben wir nur falsch
gemacht?
Franz, wir danken dir!
Wer
also überhaupt darauf verzichten will, die WM anzuschauen, der
darf sich lediglich mit unverzichtbarem Fanzubehör eindecken.
Wir sind schließlich auf reflexartiges Konsumverhalten
konditioniert und können endlich wieder für viel Geld
völlig sinnlosen Ramsch erwerben:
Es
gibt Fußballuhren, Fußballhüte, Fußballburger,
Fußballtassen, Fußballgläser, Fußballsocken,
Fußballunterhosen, Fußballrucksäcke,
Fußballkuchenformen, Fußball-Soda-Club,
Fußballpostkarten, Fußballflaggen,
Fußballwörterbücher,
Fußballschweißbänder, Fußballminisalamis,
Fußballbettlaken, Fußballstrandtücher,
Fußballregelkurse für aufgeschlossene Partnerinnen,
Fußballzelte, Fußballservietten, Fußballpappteller,
Fußballschlüsselanhänger, Fußballbierdeckel,
Fußballtopflappen,
Fußballpräservative
und
und und
Wer
will da nicht spontan --- zugreifen?
Franz, wir danken dir!
Das Mega-Sportereignis erleichtert aber
nicht nur unsere Geldbeutel.
Es
wird auch zur Entspannung der partnerschaftlichen Sexualrituale
kommen, die für gewöhnlich so ablaufen:
Der Beischlaf wird meist unter dem Einfluss von
Alkohol ausgeführt, verläuft angestrengt routiniert, und
danach ist sie aufdringlich und er müde, und es
endet damit, dass er sich zur Seite dreht und ihr die Bettdecke
wegzieht.
Das muss nicht sein, denn wer alle Spiele
sehen will, der kann das lediglich im ORF, und zwar zu so
später Stunde, dass das eben geschilderte Ritual offiziell
ausgesetzt werden darf.
Franz, wir danken dir!
Zum Wesentlichen, denn nicht nur der
Fachmann weiß: Wichtig ist auf´m
Rasen!
Es ist bisher ja gerade noch einmal
glimpflich abgelaufen!
2 : 2 nach 0 : 2.
Gegen Japan.
In der Nacht nach dem Japanspiel haben sich
Millionen deutscher Fußballfans unruhig im Bett gewälzt,
darüber nachsinnend, ob sich die gute Stimmung nach dem
Luxemburgspiel überhaupt gelohnt hat, ob sie gerechtfertigt
war.
Zur echten, unverfälschten Freude
brauchen wir in Deutschland einen rationalen Grund. Zuvor muss
gründlich abgewogen werden, und wenn die Sachlage mehrmals gut
durchanalysiert ist, und sich dabei nichts findet, was
dagegenspricht, wenn man sich im Bekanntenkreis, in der Familie und
in der Arbeit umgehört hat, und man auch dort eine gewisse
Bereitschaft zur Freude festgestellt hat, dann, aber nur dann, kann
man sich auch mal ein bisschen freuen.
Wenn wir in Deutschland allerdings erst
einmal anfangen, uns zu freuen, kann das leicht außer
Kontrolle geraten, schließlich sind wir darin nicht so
geübt.
Es kann dann passieren, dass das ganze Land
in rauschhafte Euphorie abgleitet.
Nach dem letzten WM-Sieg 1990 mussten wir
feststellen, als wir wieder zur Besinnung gekommen waren, dass wir
uns quasi parallel dazu mit einem fremden Land aus dem Ostblock
vereinigt hatten, für das wir seitdem und in alle Zukunft
zahlen müssen.
Franz, wir danken
dir!
Besorgnis wegen rasender Euphorie
müssen wir dieses Mal aber nicht haben.
Selbst das verkrampft-verlogene
Dauergrinsen des Profilächlers Klinsmann kann nämlich
nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir unsere sportlichen
Ziele nicht allzu hoch stecken sollten.
Was soll aber auch schon dabei
herauskommen, wenn unsere halbe Mannschaft mittlerweile aus dem
Warschauer Pakt stammt?
Minimalziel muss aber trotz allem bleiben:
Wir dürfen erst nach Holland ausscheiden!
Obwohl wir uns am 9. Juli so und so an
Straßen und Flughäfen postieren können um
vielstimmig zu singen:
So bliebe dabei doch ein fader
Beigeschmack, wenn wir selbst bereits in der Vorrunde ausgeschieden
wären.
Bis zum Anpfiff sollten wir alle für
uns im Stillen noch folgende Fragen beantworten:
Fehlt uns etwas, wenn wir beim Grillen im
Garten kein Telekom-Trikot anhaben?
Ist die abendländische Kultur erst
vollkommen, wenn wir unsere Gesichter schwarz-rot-gold angemalt
haben?
Ist es ein Indiz für den Gipfel der
Evolution, wenn sich in einem unendlichen Universum auf einem
unbedeutenden, erkaltenden Planeten eine Lebensform entwickelt hat,
die nach Jahrmillionen schließlich mit Viererabwehrkette
spielt?
Unser Maskottchen ist giftig, pleite und immer
noch ohne Hosen.
Wer
sich nämlich am Dienstag in den Zeitungen durch die
Nebensächlichkeiten gekämpft hatte, der musste nun auch
noch erfahren, dass Goleo giftige Weichmacher enthält, die
Krebs erzeugen und die Fruchtbarkeit mindern.
Deutsche Elf – schlappe
Kicker.
Deutsche Fans – schlappe ---
Fans
Franz, wir danken
dir!
Gute Nacht - und
Auf Wiedersehn
© Rainer Heiß 2006
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